In den letzten Jahren hat sich ein bedeutsamer Trend in unserer Gesellschaft verstärkt, der vom Zukunftsforscher Horst Opaschowski als „Wohlergehen statt Wohlstand“ identifiziert wurde. Statt sich ausschließlich auf den materiellen Wohlstand zu konzentrieren, legen die Menschen vermehrt Wert auf Lebensqualität.
Seit 50 Jahren beschäftigt sich Prof. Dr. Horst Opaschowski mit der Zukunft und ist sich sicher, dass wirtschaftliches Wachstum als Gradmesser für Fortschritt und Lebenszufriedenheit ausgedient hat. Diese Ansicht wird durch aktuelle Veränderungen in den Einstellungen der Menschen gestützt, insbesondere in Anbetracht der Dauerkrisen seit Corona.
Die neue Generation tritt langsam in den Vordergrund, während die alte Generation Platz macht. Opaschowski betont in einem Interview (Podcast „Was in Zukunft zählt“ beim SWR), dass die alten Denkmuster erst weichen müssen, um Raum für einen nachhaltigeren Ansatz des Lebens zu schaffen. Die aktuellen Krisen haben nicht nur die Menschen, sondern auch die Politik verändert. Trotz wachsender Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen zeigt sich in Opaschowskis repräsentativer Umfrage eine überraschende Zunahme von Optimismus in der deutschen Bevölkerung.
Die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und persönlichem Empfinden ist auffällig. Dieses ambivalente Lebensgefühl bleibt unabhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestehen und spiegelt sich in individuellen Krisenstrategien wider, die oft mit einem Rückzug in ein metaphorisches Schneckenhaus vergleichbar sind.
Die Hauptängste der Deutschen sind vielfältig und reichen von sozialer Kluft und wachsender Wohnungsnot bis hin zu Kontaktarmut und Geldarmut. Politiker scheinen mit der Bewältigung dieser Herausforderungen überfordert zu sein, was zu einem erheblichen Vertrauensverlust in der Bevölkerung führt. Die Unzufriedenheit mit der Politik erreicht neue Höhen, besonders in Zeiten großer Krisen, wenn Politiker scheinbar nur noch auf Zuruf reagieren und Entscheidungen ändern.
Prof. Dr. Horst Opaschowski sieht nicht nur die Probleme, sondern bietet auch Lösungsansätze. Er ermutigt zu einem mutigen Blick in die Zukunft und fordert die Politik auf, mehr Verantwortung für kommende Generationen zu übernehmen. Dies bedeutet, verschiedene Zukünfte durchzudenken und eine professionellere und weitsichtigere Politik zu gestalten.
Die empirischen Erhebungen von Opaschowski zeigen eine Veränderung in den Werten der deutschen Gesellschaft. Die stille Revolution findet nicht in einem Wandel der Werte statt, sondern in einer Verschiebung in der Hierarchie dieser Werte. Selbstenfaltungswerte werden wichtiger als Pflicht und Disziplin, während die Suche nach Wahrheit, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit an Bedeutung gewinnen. Dies eröffnet die Chance für eine neue moralische Generation, die Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung in den Mittelpunkt stellt.
Die Familie steht dabei immer an erster Stelle, besonders in Krisenzeiten, wenn sich zeigt, welchen unschätzbaren Wert sie hat. Der Freundeskreis wird als eine Art zweite Familie betrachtet, die in Krisenzeiten besonders wichtig ist. Die Großelterngeneration gewinnt an Bedeutung, da sie Defizite im Einkommen ausgleichen kann und eine gemeinschaftliche Unterstützung bietet.
Insgesamt zeigt sich ein Wandel hin zu einer Gesellschaft der Helfer, in der Geben und Nehmen zusammengehören. Materielle Güter verlieren an Bedeutung, und der Fokus liegt mehr auf einem besseren Leben anstelle von mehr Besitz. Die Sorge vor Altersarmut und Pflegebedürftigkeit im Alter prägt weiterhin die Gedanken vieler Menschen, doch auch hier sind Veränderungen und Anpassungen notwendig. In einer Zeit des langen Lebens wird die Bindung an Familie, Freunde und Gemeinschaft immer wichtiger.
Prof. Dr. Horst Opaschowski ermutigt dazu, mutig in die Zukunft zu blicken und verschiedene Arbeits- und Lebensmodelle zu überdenken. Die Gesellschaft des langen Lebens erfordert eine Neudefinition des Renteneintrittsalters und Flexibilität in der Arbeitswelt. Betriebe müssen sich jetzt und in Zukunft um ihre Mitarbeiter bewerben, und die Künstliche Intelligenz wird nicht zwangsläufig Jobs vernichten, sondern den Bedarf im Servicebereich erhöhen.
In der Summe zeigt sich also ein tiefgreifender Wandel in den Einstellungen und Prioritäten der Gesellschaft, weg von rein materiellem Wohlstand hin zu einem umfassenden Wohlergehen. Diese Entwicklung erfordert nicht nur eine Anpassung der individuellen Lebensführung, sondern auch eine Neuausrichtung der Politik und der gesellschaftlichen Werte. Ein Blick auf die Zukunft durch die Linse von Horst Opaschowski zeigt nicht nur die Herausforderungen, sondern bietet auch Inspiration für eine positive Entwicklung in Richtung einer Gesellschaft des Wohlbefindens für alle.
Buchempfehlung:
Besser leben statt mehr haben
Wie wir die Zukunft der nachfolgenden Generation sichern
- Autor: Horst Opaschowski
- Verlag: Kösel
- Erscheinungsdatum: 24. Mai 2023
- ISBN: 978-3-466-37297-3