Menschen urteilen, beurteilen, verurteilen. Gerade in den letzten Jahren der Gruppierung, Polarisierung und Ausschlusses, haben wir alle gewertet. Waren es die Querdenker oder die Ängstlichen, waren es Verleugner oder die Mitläufer. Viele Begriffe sind gefallen, ohne den Menschen und seine Lebensgeschichte zu kennen. Diese Trennung und Vorgehen in der Gesellschaft gilt es zu überwinden.
Big Five – Offenheit in der Psychologie
Es gilt wieder eine Offenheit im Umgang miteinander, aber auch bei sich selbst zu finden und dieses Persönlichkeitsmerkmal zu stärken. In der Psychologie gibt es das Fünf-Faktoren-Model (oder auch Big Five oder OCEAN-Modell genannt) eine Orientierung. Offenheit (Openess) ist einer der fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit.
Die Big Five sind:
- Openess (Offenheit, Aufgeschlossenheit),
- Conscientiouness (Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus),
- Extraversion (Geselligkeit, Etravertiertheit),
- Agreeableness (Verträglichkeit, Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie)
- Neurocticism (Neurotizismus, emotionale Labilität, Verletzlichkeit).
Die Skala der „Offenheit für Erfahrungen“ von konservativ und vorsichtig, bis zu erfinderisch und neugierig. Personen mit einem hohem Faktor haben eine rege Fantasie, sind einfallsreich und können ihre und andere positive und negative Gefühle deutlich wahrnehmen. Sie sind offen für neue Ideen. Sie zeigen sich wissbegierig, kreativ, experimentierfreudig und künstlerisch interessiert. Sie mögen Abwechslung statt Routine, lieben neue Reiseziele, probieren gerne aus. Sie sind aber auch kritisch und hinterfragen, bilden sich eine eigene Meinung und haben eine Wertevorstellung. Sie nehmen Gegenargumente, andere Meinungen und Kritik an. Vielmals verhalten sie sich unkonventionell und handeln intuitiv.
Flexibiltiät und Mut – Offenheit im Beruf
In einer Zeit des ständigen und schnellen Wandels wird Offenheit zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor. Menschen mit einer hohen Ausprägung mögen neue Aufgaben, andere Menschen und veränderten Bedingungen und ungewöhnlichen Ideen. Sie können sich schnell auf Veränderungen einstellen, haben eine geistige Flexibilität, sind mutig. Offene Menschen verfügen über die Bereitschaft sich mit einer anderen Person oder einer Sache unvoreingenommen auseinanderzusetzen. Sie verstehen bedingungslos, voller Hingabe, zu leben.
Synonyme für Offenheit oder Merkmale für Offenheit könnten somit folgende Begrifflichkeiten sein: Anteilnahme, Aufgeschlossenheit, Aufrichtigkeit, Aufnahmebereitschaft, Aufmerksamkeit, Deutlichkeit, Ehrlichkeit, Entdeckerfreude, Empfänglickeit, Freimut, Freimütigkeit, Freundlichkeit, Geradlinigkeit, Interesse, Lauterkeit, Offenherzigkeit, Neugierde, Unvoreingenommenheit, Wachheit, Wahrhaftigkeit, Wahrheit, Zugänglichkeit.
Der Selbsttest „Big Five“ eignet sich hervorragend beim Auswahlverfahren von Führungskräften. Gerade in der Führung werden die fünf Faktoren gefordert, wie zum Beispiel emotionale Belastbarkeit, geistige Offenheit, Beweglichkeit, Mut und Entscheidungsfreude.
Kommunikation – Offenheit in Beziehungen
Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation sind wichtig für aufrichtige und somit tragfähige Beziehungen. Egal ob mit Freunden oder in der Partnerschaft bedeutet es aber nicht, immer alles zu wissen, was der andere tut und denkt, sondern sich zugewandt über die Gefühle und Bedürfnisse auszutauschen. Wir wissen es alle, schon kleine Missverständnisse oder unachtsames Handeln, kann in der Partnerschaft zu ernsthaften Konflikten führen. Wenn es dabei um Gefühle geht, die nicht kommuniziert sind oder sogar gelogen, gedeutscht oder enthalten wird, kann es zur Krise kommen. Das kann bewusst oder unbewusst geschehen. Deshalb ist es in der Partnerschaft wichtig, offen und ehrlich zu kommunizieren, ggf. ist ein Prozess der Selbstreflexion zuvor nötig.
Allerdings, ständige Offenheit von beiden Seiten ist anstrengend und kann zur Belastung werden. Die Beziehung erscheint in Krisen, in denen fortwährend Gefühle und Bedürfnisse ehrlich ausgesprochen werden, als eng und schwer. Menschen sind dann schnell auf der Suche nach dem Leichten, Freudvollen, Liebevollen. Eine große Gefahr des Abwendens besteht.
Veränderung und Reifung – Offenheit als Chance
Offenheit im Innen und Außen ist wichtig für unsere seelische Gesundheit und die Reifung der Persönlichkeit und Gesellschaft. Auch wenn wir uns für einen offenen Menschen halten, gelingt es nicht immer diese Haltung zu bewahren. Wir stoßen bei ehrlichem Reflektieren auch auf Konventionen, Ideologien, Meinungen oder Halbwissen. Mit dem Wunsch zum Beispiel nach Zugehörigkeit, lassen wir Neues nicht immer zu.
Dabei ist Offenheit das Lebenselexier für kulturelle Weiterentwicklung. Sich mit Hingabe in den Fluss des Lebens zu begeben, bedeutet nicht Richtungslosigkeit oder Treiben lassen, sondern offen zu sein für das was im Augenblick geschieht. Offenheit kann man üben, indem man sich die Frage stellt „Ist das so?“. Liebevoll und gütig zu hinterfragen, ob es die eigene Vorstellung ist oder sich so zeigt, lässt zu, in die Offenheit zu kommen.
Zudem ist es klug, von Normen abzuweichen und verrückte Gedanken und Gefühle zuzulassen. Mit dem Blick auf das Reifen, gilt es die Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit entspannt und neugierig zu betrachten, denn Güte im Innen und Außen führt zu geistiger Beweglichkeit. Geistige Beweglichkeit ist aber nicht mit Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit gleichzusetzen, sondern beruht auf das Ergebnis eines (des eigenen) Entwicklungsprozesses.
Offenheit verlangt also, für Unbekanntes empfänglich zu sein. Aufmerksam und achtsam sich bewusst in das Vakuum zu begeben, in dem ein Kairosmoment kommen könnte und ihn dann mutig am Schopf zu packen. Diese ständige Bereitschaft für Neues fällt schwer. Ungewissheit und Unsicherheit strengt an. Dennoch lohnt es sich, dass wir frei in unserer Geisteshaltung bleiben. Es lohnt sich, nicht Festzuhalten und im Widerstand zu sein, nicht zu Kämpfen und zu Verteidigen und sich und andere nicht Auszubeuten. Somit fördert Offenheit auch die seelische Gesundheit, die Reifung der Persönlichkeit und ein friedvolles Miteinander.
Text: Anita Schmitt